Die Fähigkeit zu sehen ist für die meisten Menschen mit Abstand der wichtigste der fünf Sinne. Faktisch verlassen wir uns tagtäglich beinahe durchgängig darauf. Ohne Augen navigieren? Für viele Menschen nahezu undenkbar. Wie fühlt es sich also an, bei knapp 1000 km/h in einer Blechkiste zu sitzen, die sich durch die Dunkelheit bewegt?
Das Jahr 2014, es ist mein erster Nachtausbildungsflug auf dem Eurofighter. Ich bin vor wenigen Sekunden vom Flugplatz Laage in den Nachthimmel gestartet - dieser Anblick ist mir bereits aus der Grundschulung in den USA vertraut - doch es gibt einen gewaltigen Unterschied: Jetzt versuche ich zum ersten mal in voller Dunkelheit in enger Formation mit dem Führungsflugzeug zu fliegen. Das Radar hilft mir zwar beim aufschließen, aber dann muss ich mich auf das wenige verlassen was mir meine Augen mitzuteilen vermögen: Zwei rot blitzende Anti-Kollisionsleuchten, die Rot-Grün-Weißen Navigationslichter und die flächig grün strahlenden Formationslichter zeugen von der Laage des anderen Flugzeugs im dunklen Raum. Das Flugzeug selbst ist nicht zu erkennen, es ist eine Neumondnacht, der Himmel stockfinster. Ich bitte den Formationsführer seine Blitzlichter abzuschalten und während der Abstand abnimmt steigt mein Puls spürbar an. Konzentriert versuche aus den bunten Lichtern genug Informationen zu gewinnen. Meine Stirn schwitzt, die Hände sind verspannt, ich nähere mich weiter. Langsam beginnen meine eigenen Anti-Kollisionslichter das Führungsflugzeug anzustrahlen. Bei jedem Blitz ist kurz die rot gefärbte Silhouette des anderen Eurofighters zu erkennen. Uns trennt jetzt nur noch ein guter Meter und mich noch so viel vom Ende der Ausbildung.